FOTSCHER EXPRESS | Sellrainer Skidurchquerung mit historischen Wurzeln Die historisch bedeutende Skidurchquerung südwestlich von Innsbruck

FOTSCHER EXPRESS | Sellrainer Skidurchquerung mit historischen Wurzeln Die historisch bedeutende Skidurchquerung südwestlich von Innsbruck

Lesezeit: 18 min

Im Artikel findest du eine ausführliche Besprechung der Hintergründe des historischen Skitourennens „Fotscher Ski Express“, warum gerade das Fotschertal dafür auserkoren wurde, warum der Rote Kogel lange als „schönste Skitour Tirols“  galt, warum Ausländer eine Stunde länger brauchen durften als Einheimische, warum der Express in Vergessenheit geraten ist und was der Skitourenboom daran ändert. Ganz unten gibt’s die Fotos meiner vierten Begehung vom 31.12.2020

Das ehemalige Skitourenrennen „Fotscher Express“

Das silberne Abzeichen bildet eine Schneeflocke, in der Mitte befindet sich das Wappen des SKI (Skiklub Innsbruck). Foto: André M. Winter / carto.net

Der Fotscher Express war ein Skitourenrennen des Ski Klub Innsbruck das zuletzt 1969 durchgeführt wurde und vermutlich für viele Jahrzehnte fixer Bestandteil des jährlichen Kalenders der Innsbrucker Szene war. Bei drei Aufstiegen und drei Abfahrten konnte man sein skitechnisches Können unter Beweis stellen: Start ist bei der Skihütte im Fotschertal auf ca. 1550m. Als erstes stand der Schaflegerkogel am Programm, gefolgt von der Abfahrt zur Kemater Alm im Senderstal. Dann geht es weiter aufs Hoadl, hinunter in die Axamer Lizum, hinauf aufs Birgitzköpfl und hinunter nach Mutters zum Gasthof Lärchenwald. Das Gasthaus existiert heute noch.

Die Tabelle zeigt Zeitobergrenzen für die Abzeichen Bronze, Silber, Gold und Super-Gold abhängig der Altersklasse beim Fotscher Express. Detail am Rande: Ausländer erhielten eine Stunde Zugabe. Foto: André M. Winter / carto.net

Im Gasthof Lärchenwald gab es anschließend die After-Race-Party, Pardon, das gesellige Beisammensein und die Preisverleihung. Es gab mehrere Abzeichen von Super-Gold über Gold, Silber und Bronze. Für Super-Gold musste man die gesamte Strecke in unter 4h hinter sich bringen – auch mit der heutigen Ausrüstung ist das noch eine top Zeit!

Von den 1950ern bis in die 1970er hat die noch kleine Skitourenszene in Innsbruck den Fotscher Express abseits des Rennens immer weiter nach Westen mit zusätzlichen Anstiegen und Abfahrten erweitert. Daraus entstanden ist zuerst der Große Fotscher Express mit Start in Praxmar, Aufstieg auf den Roten Kogel, Abfahrt ins Fotschertal und dann gleich weiter wie beim „kleinen“ Fotscher Express. Dann der Super-Express mit Start in Praxmar – Zischgeles – zurück hinunter nach Praxmar und dann weiter wie beim Großen Fotscher Express.

Und schlussendlich der Orient Express mit Start in Gries im Sulztal (Seitental Ötztal) – Breiter Grieskogel – Winnebachseehütte – Winnebacher Weißerkogel – Rosskarscharte – Gleirschtal – Zischgeles – und nach Osten weiter wie beim Fotscher Express. Wohlgemerkt immer als Ziel in unter 24 Stunden!

Durch den Fotscher Express wurden alle weiten Skitourenrunden und -durchquerungen in Tirol auch als „Express“ bezeichnet – so ähnlich wie in Bayern die ganzen „Reibn“. Eine Reibn ist in Bayern übrigens eine „Kurve“ oder eine „Runde“ (das Wort ist in weiten Teilen Tirols nämlich unbekannt).

Die Bezeichnung Express wurde in Tirol in weiterer Folge zum Synonym für weite, eintägige Skidurchquerung.

Mehr Infos zu den historischen Sellrainer Skidurchquerungen gibt es hier.

Aus dem Buch: „Ski Heil – die 100 schönsten Skiabfahrten in den Alpen“ von Walter Pause, 1958.

 

Die Strecke des Großen Fotscher Express. Rote Kreise: Praxmar und Gasthof Lärchenwald. Oranger Kreis: Die Skihütte im Fotschertal von der aus der ursprüngliche „kleine“ Fotscher Express startete.
Strecke des Orient Express mit Start im Westen im Sulztal und Ziel im Osten bei Mutters. Der Fotscher Express stellt in etwa die zweite Hälfte davon dar.

Wissen zum Fotschertal

Sanfte Täler mit einer Höhenlage unterhalb von 2000m – unbesiedelt?

Das Fotschertal ist das zweite Seitental des Sellraintales von Osten gesehen – nach dem Senderstal. Es führt von der Gemeinde Sellrain nach Süden. Fotschertal und Senderstal sind beide trotz günstiger Geländeformen seit jeher nicht dauerhaft besiedelt – was für die Höhenlage (Taleingang jeweils bei ca. 1000m Seehöhe) für unsere, inneralpine Gegend recht untypisch ist. Das liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit aber genau am sanften Gelände das man dort vorfindet. Da es im vorderen Fotschertal wie auch im vorderen Senderstal durch die hügelige Form der umgebenden Berge als Verwitterungsprodukt des dortigen, eher weichen Gesteins – des Glimmerschiefers – nur wenige Lawinenstriche gibt, konnten sich dort schwer erste Menschen niederlassen. Vor den großen Rodungen haben Menschen nämlich eher waldfreie Standorte im Nahbereich vorhandener Lawinenstriche besiedelt.

Lüsens, Praxmar, St. Sigmund, Haggen und Kühtai liegen deutlich höher als die vorderen Bereiche der beiden, genannten Seitentäler und wurden schon früh besiedelt. Die Hänge sind oft steiler und somit viel schwerer zu bewirtschaften – allerdings waren Waldrodungen früher noch aufwändiger als das Mähen von Steilhängen. Und in den heute besiedelten Weilern gab es einfach im natürlichen Zustand viel mehr waldfreie Bereiche.

Die hügeligen Berge südwestlich von Innsbruck waren am besten für die ersten Skiaktivitäten um das Jahr 1900 geeignet. Das Senderstal – das östlichste Seitental des Sellraintales – geht von Grinzens nach Süden. Danach folgt nach Westen das Fotschertal und bei Gries das Lüsenstal. Viele Sellrainer sind sich übrigens nicht bewusst, dass Grinzens im Sellraintal liegt und das Senderstal ein Seitental ist. Talsysteme werden immer nach den Entwässerungssystemen festgelegt und der Sendersbach ist der letzte der in die Melach entwässert. Der Bach aus der Axamer Lizum fließt hingegen direkt in den Inn.

Der Name des Tales

Ausgesprochen wird das Fotschertal als „der Footscher“ oder „das Footschertal“ – immer mit lang gesprochenem O. In der Innsbrucker Gegend hört man sehr oft „die Fottsch“ mit kurzem O, was man schlichtweg als falsch bezeichnen kann.

Der Skilauf vor über 100 Jahren

Als das Skitourengehen auch um Innsbruck „modern“ wurde, suchten die ersten Pioniere natürlich nach entsprechendem Gelände für ihre Bergfahrten. Mit 2m langen Holzski ohne Kanten, Seehundspannfellen samt unzureichender Fixierung und einem großen Holzstock durfte das Gelände bestenfalls nicht zu flach aber auch nicht zu steil sein. Das bot im Raum Innsbruck neben Teilen der Tuxer Alpen und den von Eiszeitgletschern geschliffenen Hügel wie dem Rangger Köpfl und dem Birgitzköpfl, vor allem der Bereich des Glimmerschiefers im Sellraintal: Der Senderskamm von Salfeins bis zum Schaflegerkogel und der Fotscherkamm vom Windegg bis zum Roten Kogel.

Der Rote Kogel – einst die schönste Skitour Tirols

Der Ski Klub Innsbruck wurde im Jahre 1906 gegründet und bald darauf galt der Rote Kogel von der Eisbrücke bei Sellrain aus als „die schönste Skitour Tirols“. Besser ging es für die damalige Ausrüstung vom Gelände her kaum: Zuerst 1000 Höhenmeter flach durch ein Tal hinein, gefolgt von einer kurzen Stufe mit kaum über 30°, dann nochmals 2km flach über die Böden des Widdersberg und dann ein kaum über 30° steiler, 150hm hoher Gipfelhang. Die Tour ist grad so steil, dass man durch die Steigung auch mit schlecht laufenden Holzski ohne Kunststoffbelag abfahren kann aber bei 85% der 1.800 Höhenmeter keinen einzigen Schwung braucht. Denn Schwünge galt es möglichst zu vermeiden in der Abfahrt – langsame Schussfahrten im mäßig steilen Gelände waren heiß begehrt.

Der Rote Kogel ist vom Fotschertal aus auch im oberen Bereich von sanftem Gelände gekennzeichnet.

Die Skihütte des SKI im Fotschertal

Durch die günstigen Ausgangsbedingungen und der Nähe zu Innsbruck wurde im Fotschertal die Hütte des Ski Klub Innsbruck im Jahre 1912 errichtet. Dort steht sie noch heute und wird von diesem geschichtsträchtigen Verein regelmäßig genützt und liebevoll betreut.

Die Hütte des Innsbrucker Schiklubs wurde 1912 errichtet und war kurze Zeit später der Ausgangspunkt des Fotscher Ski Express. Foto: André M. Winter / carto.net
Die Hütte im norwegischen Blockhausstil des Innsbrucker Skiklubs. Foto: André M. Winter / carto.net

Wie groß der Hype um den Fotscher Express war, zeigt auch folgende Zeilen aus dem Jahr 1949:

 

2006 wollte der SKI den Fotscher Express nochmals veranstalten. Durch Schlechtwetter kam es dann aber nicht dazu.

In Vergessenheit geraten

Ab den späten 1980ern und frühen 1990ern mit dem Niedergang des klassischen Bergsteigens und immer weniger jungen Leuten, die gerne in den Bergen unterwegs waren, ging auch viel vom Fotscher Express und seinen Abkömmlingen in den Köpfen verloren. Mein Vater Engelbert Ruetz hat allerdings den Orient Express in den 1980ern mit einem Freund auf Ski gemacht. Durch seine Erzählungen wurde ich darauf aufmerksam und konnte den Großen Fotscher Express inzwischen mehrmals und den Orient Express einmal selbst begehen.

Die Neuzeit der Eintages-Skidurchquerungen

Der Skitourenboom

Seit vielen Jahren boomt der Skitourensport wieder und besonders mit dem Aufkommen von Facebook – und dann vor allem Instagram für die ganz junge Generation  – hat sich seit etwa dem Jahr 2015 ein besonderes Wachstum des Skitourengehens und auch seiner extremen Spielarten wie die der langen Eintagesdurchquerungen ergeben. Meiner Meinung nach ist die Ursache dafür neben dem steigenden Gesundheitsbewusstsein und der vielzitierten „Work-Life-Balance“ einfach der immer verfügbare Fotoapparat in der Hosentasche und die simple Weitergabe der Fotos über Social Media: Heute sieht jeder wie lässig es am Berg ist. Früher konnte man sich das nur durch die eigene Geisteskraft mit Hilfe von Erzählungen von Freunden irgendwie vorstellen. Corona leistet nun 2020 und 2021 den nächsten Schub zu Massen am Berg.

Der Boom der Expresse/Expressi (?)

2016 habe ich erstmals den Fotscher Express gemacht, 2017 den Orient Express – samt Aufarbeitung am Blog. In den ersten paar Jahren sind nur eine Hand voll von Skitourengehern die Touren daraufhin nachgegangen. 2020 hat die Kurve nun aus der Kombination meiner Veröffentlichungen und dem allgemeinen Skitourenboom den Eintritt in den steilen Teil der Exponentialfunktion gefunden: Man hört und liest inzwischen regelmäßig von Begehungen des Fotscher Express und hin und wieder sogar vom Orient Express. Obwohl die Zielgruppe mit den konditionellen und planerischen Fähigkeiten für derart weite Tagestouren natürlich immer noch sehr klein ist – aber doch um ein Vielfaches größer als noch vor 20 Jahren.

Inzwischen wurden die Touren auch von Seiten mit allgemeinen Tourenbeschreibungen übernommen und sind demnach für jedermann präsent und verfügbar.

Meine vierte Begehung des Großen Fotscher Express am 31.12.2020

Nach einem Kreuzbandriss und einer Kreuzband-OP im Sommer 2020 habe ich kaum daran geglaubt, dass ich so schnell wieder solche Touren angehen kann. Aber keine vier Wochen nach der OP stehe ich wieder im Aufstieg auf Ski und drei Monate nach der OP fahre ich auch wieder mit Ski ab.

Knapp sechs Monate nach der OP bin ich erstmals wieder am Großen Fotscher Express mit seinen 3.500 Höhenmetern zum Jahresabschluss zusammen mit Markus unterwegs. Zwar nicht besonders schnell – konditionell merkt man das höhenmeterschwächste Bergjahr seit langem natürlich schon – aber immerhin ausdauermäßig lief der Tag problemlos. So schnell wie man abbaut, baut man auch wieder auf :)

Der Schnee war großteils windbearbeitet. Pulver haben wir kaum gefunden und wir waren froh ab dem Hoadl die Piste zu nützen. Gestartet sind wir wie beim Großen Fotscher Express üblich in Praxmar, zum Schluss haben wir statt dem Birgitzköpfl auch die Saile mitgenommen. Die Saile ist immer noch eine tolle Draufgabe im flachen Nachmittagslicht beim Fotscher.

Großes Danke an Markus für’s Spuren aufs Hoadl im Bruchharsch und für’s Rücksicht nehmen in Sachen Tempo – er hätte die Tour sicher mindestens um ein Drittel schneller geschafft – nach einem Kalenderjahr mit 377.000 Aufstiegshöhenmetern!

Alles in allem ein toller Jahresabschluss bei einem frostigen Start und meist schlechtem Schnee.

Lüsener Fernerkogel am Morgen
Lampsenspitze

Oberes Schöntal
Roter Kogel

Blick nach Praxmar vom Roten Kogel
Blick auf den weiteren Verlauf und ins Fotschertal
Roter Kogel
Die schönste Moräne des Sellraintales im Fotschertal
Furggesalm beim Anstieg zum Schaflegerkogel

Gipfel #2: Schaflegerkogel
Kalkkögel
Blick zu Gipfel #3: Hoadl
Abfahrt ins Senderstal zur Kemater Alm.
Viel Schnee für Ende Dezember
Markus auf dem Weg zum Hoadl
Zurück in der befremdlichen Welt der menschlichen Zivilistation

Blick zurück zum Hoadl vom letzten Aufstieg aus

Auf der Saile nach Westen
Von der Saile ins Stubai
Gipfel #4: Saile

14 Gedanken zu “FOTSCHER EXPRESS | Sellrainer Skidurchquerung mit historischen Wurzeln Die historisch bedeutende Skidurchquerung südwestlich von Innsbruck

  1. Hallo Lukas

    zum EXPRESS-EIGNUNGS-TAFERL
    ich bin Ü-50 … i brauch oder darf erst gar nimmer gehn, Somit probier i den natürlich a nit … und typisch Ur-Tiroler Selbstüberschätzung man nimmt von einem Ausländer an dass er sowieso 1 Std länger braucht ;)
    lg Josef

  2. Lieber Lukas,
    ich plane am kommenden Donnerstag (13.1.2022) den großen Fotscher Express zu machen. Kann man aktuell von der Potsamer Hütte den Forstweg zur Abzweigung Furgesalm und dann hier den Forstweg rauf zur Furgesalm mit Ski befahren? Du hast ja vor kurzem mal gepostet, dass hier die Straße geräumt wird und man nicht mir Ski befahren kann.
    Danke schon jetzt im voraus und schöne Grüße
    Gerit

  3. Hallo Lukas,
    in Anlehnung deines super Bericht vom Dezember 2020 habe ich es jetzt mit 65 Jahren,
    bei perfekten Bedingungen mit meinem Tourenpartner Rudi,
    am 10.3.2021 die traumhafte Ski – Durchquerung
    “ Grosser Fotscher Express “ , geschaft.
    Herzlichen Dank Lukas für deine tollen Fotos und Berichte.

    Liebe Grüße
    Heli

  4. Lukas heut hat’s perfekt gepasst Großer Fotscher Express ,Saile auch mitgenommen,Roter Kogel,Schaflegerkogel unverspurt und Traumpulver.nach Mutters runter hat’s unten schon wieder angezogen.

  5. Bravo Burschen!
    Danke Lukas für die Erwähnung des Skiklubs und die geschichtliche Aufarbeitung, super gemacht
    lg
    Martin

  6. Unglaubliche Leistung!

    Als jemand der 3 Kreizbandln (und eben a alle „Nachbauten“) verloren hat, kann i über de Leistung so kurz nach OP nur staunen!

    Darf i mi als Kemater dann a als halber „Sellroaner“ fühlen? ;)

    • Danke, Daniel!

      Wahrscheinlich hab i oanfach lei Glück kabt und vielleicht a guate Disposition zum Hoalen :)
      Kemater sein für mi a Sellroaner fast, woll :) Grad alm in Bach nach eichnschwimmen ;)

      LG
      Lukas

      • Vielleicht ischs aber a a kloans bissl die „nit ganz so schlechte“ sportliche Verfassung von vorher ;)

        Eigentlich a egal, i schätz mi glücklich des Paradies vor da Haustür zu ham!

        Wo isch de Moräne genau? Nach da Almind, da Richtung Wenten / Hühnereggen aui? De isch ja unglaublich markant und i bin erstaunt dass ma de no nia augfalln isch…

  7. Lukas gratuliere, bist schon wieder voll fit!!
    Heuer ist er fällig, werd auch die Saile mitnehmen.
    Warte aber noch auf Neuschnee.
    Gsund bleiben!!!

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