Warum Pulver in warmen Schönwetterphasen pulvrig bleibt Die Lufttemperatur alleine ist nicht ausschlaggebend | SchneeGestöber #7 18/19

Warum Pulver in warmen Schönwetterphasen pulvrig bleibt Die Lufttemperatur alleine ist nicht ausschlaggebend | SchneeGestöber #7 18/19

Lesezeit: 9 min

Hoch Dorit und Erika bescheren seit vielen Tagen warme und praktisch niederschlagsloses Wetter. Sonnseitig findet man inzwischen je nach Höhenlage frühjahrsähnliche Verhältnisse mit Firn. Schattseitig erwischt man noch einige Schwünge guten Pulver – zumindest dort, wo der Wind nicht gearbeitet hat – trotz einer Nullgradgrenze von zeitweise über 3.000m. Warum?

Nach Starkschneefällen wie jene im vergangenen Jänner setzt sich die Schneedecke äußerst schnell. Der tiefe bzw. oft fast grundlose Powder wird innerhalb von Stunden zu Pulver der Richtung Boden gleichmäßig immer härter wird. Man sackt immer weniger weit ein und spätestens nach zwei, drei Tagen bleibt Skischuh-hoher lockerer Pulver übrig. Dieser liegt dann auf einer kompakten Unterlage. Vorausgesetzt, die Temperaturen bleiben auf einem normal-winterlichen Niveau und schießen nicht nach oben durch die Decke.

Warum aber bleiben 20 – 30cm Pulver übrig? Eigentlich sollte man meinen, die Schneedecke müsste sich durch und durch immer weiter setzen. Sodass man auch im Gelände nach einigen Tagen der Setzung überall eine kompakte, pisten-ähnliche Schneedecke findet?

Der Temperaturgradient macht’s aus!

Ein Profil aus einem Nordhang zeigt in Oberflächennähe einen markanten Temperatursprung. Dieser wandelt die obersten Zentimeter Schnee leicht aufbauend um. Die Schneeoberfläche ist durch Ausstrahlung wesentlich kälter (-16°C) als die Luft (-11,5°C). Das ist auch bei wärmeren Temperaturen der Fall. Wenige Zentimeter unterhalb der Oberfläche verläuft die Temperaturkurve wesentlicher steiler, hier überwiegt die abbauende Umwandlung.

Während sonnseitig die Schneedecke unter Tags während einer Hochdrucklage wie der jetzigen immer auf 0°C angewärmt wird, bleibt die Schneeoberfläche schattseitig immer viele Grad unterhalb der Lufttemperatur. Dort fehlt die kurzwellige, wärmende Sonnenstrahlung und durch die langwellige Abstrahlung bleibt die Schneeoberfläche relativ kalt. Sie verliert Energie durch die Abstrahlung und bleibt dadurch kälter als die Luft. Selbst wenn die Nullgradgrenze auf über 3.000m ansteigt, findet man schattseitig bis in die Tallagen nach einigen, sehr warmen Tagen noch Pulver. Die Luft erwärmt sich  dort zwar auf fast zweistellige Plusgrade, die Schneeoberfläche bleibt aber unter 0°C kalt – allein durch die langwellige Abstrahlung. Sie wird damit nicht feucht und bleibt locker und pulvrig.

Aber eigentlich müsste sich die Schneedecke schattseitig doch abbauend umwandeln und damit bald kompakt sein – also eine harte Schneeoberfläche aufweisen? Nicht nur die unteren Schneeschichten müssten sich setzen sondern auch die oberflächennahen – würde man meinen.

Durch die Abstrahlung und die damit verbundene (v.a. in der Nacht) sehr niedrige Oberflächentemperatur, überwiegt in Oberflächennähe die aufbauende Umwandlung. Das heißt, man findet direkt an der Schneeoberfläche vielleicht -10°C kalten Schnee obwohl die Lufttemperatur um den Gefrierpunkt schwankt. Ein paar Zentimeter unterhalb der Schneeoberfläche wird der Schnee dann relativ schnell wieder wärmer. Das heißt, wir finden in den obersten Zentimetern der Schneedecke einen großen Temperaturunterschied vor. Die aufbauende Umwandlung überwiegt dadurch auf den obersten 10, 20 oder 25 Zentimetern. Unter dieser obersten Schicht herrscht mit jedem Zentimeter den man weiter nach unten kommt meist nur mehr eine geringe Temperaturänderung vor. Dort überwiegt die abbauende Umwandlung. Dadurch setzt sich die Schneedecke nur merklich bis zu dieser obersten Schicht wo der Temperaturgradient durch den großen Sprung in Richtung Oberfläche stärker ausgeprägt ist.

Wo in der Schneedecke überwiegt welche Umwandlungsart?

Die Schneedecke setzt sich also immer weiter in allen Schichten bis auf die obersten Zentimeter. Etwa Skischuh-hoher Pulver bleibt somit über lange Zeit an der Oberfläche bestehen. Denn dieser baut sich nicht abbauend sondern mäßig aufbauend um. Er wandelt sich also eigentlich in anderen Pulver um. Der „laute Pulver“ wie man ihn im Englischen nennt, oder „Noppenpulver“ im Deutschen. Es sind nicht mehr schöne dendritische Neuschneekristalle die man vorfindet, sondern kleine kantige Kristalle. Der Pulver bleibt also Pulver – vom skifahrerischen Standpunkt. Aber er baut sich durchgehend aufbauend um. Er bleibt dadurch locker. Erst einige Zentimeter unterhalb der Schneeoberfläche setzt sich die Schneedecke kontinuierlich weiter durch abbauende Umwandlung.

So kommt’s, dass wir wochenlang in Schattenhängen (im Feber also in wesentlich größeren Bereichen und viel flacheren Hängen als im April) noch Pulver finden obwohl es schon seit Ewigkeiten nicht mehr geschneit hat und verhältnismäßig sehr warm war. Durch die oberflächliche Abkühlung durch Ausstrahlung und damit einhergehende oberflächennahe aufbauenden Umwandlung finden wir bis weit unter der womöglich tagelang vorherrschende Nullgradgrenze noch guten Pulver – aber nur dort wo die Sonne kaum oder nicht hin scheint.

Und auch nur dort, wo die Ausstrahlung es schafft, die Schneeoberfläche so weit abzukühlen, dass aufbauende Umwandlung stattfinden kann. Bei zu hoher Lufttemperatur wird die Ausstrahlung es nicht schaffen, die Oberfläche weit genug abzukühlen dass ein starker Temperaturgradient herrscht. Die Schneedecke wird damit oberflächennah zumindest so warm, dass sie nicht kantig und locker wird sondern Rundkörnig und immer härter bis sie sich ähnlich einer präparierten Piste präsentiert. Weil es dann zu tieferen und ebenfalls recht warmen Schneeschichten keinen ausgeprägten Temperaturunterschied mehr gibt und die abbauende Umwandlung anstatt der aufbauenden Überhand nimmt.

 

Merke: Die Energiebilanz und der Temperaturgradient bestimmen die Schneequalität durch ihren Einfluss auf die Schneeumwandlung über die Schneetemperatur. Einstrahlung, Ausstrahlung, Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit beeinflussen die Schneetemperatur zusammen und müssen immer gemeinsam betrachtet werden.

Durch katabatische Fallwinde bildet sich in lautem Pulver aus kantigen Kristallen oft eine typische Oberflächenstruktur. Dadurch bekannt als Noppenpulver.

 

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5 Gedanken zu “Warum Pulver in warmen Schönwetterphasen pulvrig bleibt Die Lufttemperatur alleine ist nicht ausschlaggebend | SchneeGestöber #7 18/19

  1. Morgen Lukas,
    verrate doch nicht alles :-)!
    Wobei: Du hast gar nicht erwähnt, dass man dabei nicht auf das berühmte Bauchgefühl angewiesen ist oder ständig Schnee- und Wetterentwicklung verfolgen muss: Man schaut einfach die Messdaten der richtigen Wetterstationen an….ich mache das zumindest so – auch, weil mir Schneeprofil-lesen-und-analysieren meist zu „aufwendig“ ist. OK, da muss auch lesen, aber nur ein mal: nämlich die Beschreibung der Stationscharakteristik: Ich schaue gern (im bayrischen) auf die am Osterfelderkopf: „auf 1800m Kar nördlich der Alpspitze, in den Wintermonaten durchgehend im Schatten“: Daher sieht man auf einen Blick alles wichtige: die Oberflächenthemeratur unbeeinflusst von der Sonneneinstrahlung auch tagsüber, Luftthemperatur, Wind. Mit ein bissl Übung und einem halbwegs regelmäßigen Abgleich auf Tour gibts keine Überraschungen bzgl. Schneequalität: Aus der Oberflächen-zu-Luftthemperatur vor Ort kann man direkt auf die Abstrahlung schließen: ist es klar und trocken, oder weitgehend klar und feuchter, teilweise oder ganz bewölkt, hat es bei welcher Temperatur geschneit, dazu auch die Entwicklung der letzten 48h usw. In AT gibts die auch zu genüge, wobei mich da stört, dass nicht einheitlich dargestellt wird und eher „zu viel Information“ drin ist – natürlich ist auch die Tauthemperatur und Luftfeuchte interessant, aber halt auch irgendwie redundant.
    Alles in allem muss heutzutage niemand mehr unwissend bleiben, alles da….

  2. Klasse, weil verständlich aufbereitet – vielen Dank! :-)
    Eine Frage bzgl. langwelliger Ausstrahlung: Ich lese immer wieder den Begriff „Strahlungsnacht“ und assoziiere ihn mit einer wolkenlosen, kalten Nacht. Vor ein paar Wochen sagten mir mehrere Wetterstationen hier im Allgäu selbst in 2000 m Höhe noch eine Lufttemperatur von bis zu 4 Grad Plus als Nacht-Tiefstwert. Am darauffolgenden Morgen war ich ziemlich überrascht, weil es so verharrscht war, dass ich meine Steigeisen angezogen habe. Die Tour war südseitig und mittags war die Schneedecke wie erwartet tiefreichend durchfeuchtet. Kann man theoretisch die Temperaturgrenze berechnen, bei der in einer Strahlungsnacht die Schneeoberfläche trotz einer positiven Lufttemperatur gefriert? Das hängt wahrscheinlich insbesondere von dem Bewölkungsgrad ab, aber mal einen „idealtypischen“ klaren Himmel vorausgesetzt. Vielen Dank im Voraus!

  3. Interessanter Artikel. Als Naturwissenschaftler muss ich eine (große) Kleinigkeit anmerken. Grafiken und Diagramme sind nur dann aussagekräftig, wenn eine eindeutige Kennzeichnug der Achsen vorhanden ist. Hierzu gehört neben einer Beschriftung (wie z.B. Temperatur, Schneehöhe, etc.) auch eine physikalische Einheit.

    • Hallo Lars,

      das ist mir durch meine Hintergründe auch bewusst. Aber da es sich hier um eine populärwissenschaftliche, praxisorientierte Publikation handelt, ist das vollkommen egal und es wird bewusst drauf verzichtet. Wer Schneeprofile lesen kann, kennt sich aus. Wer nicht und sich dafür interessiert, kann es einfach und schnell online lernen.

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