SchneeGestöber: Frühwinter-Firn & Oberflächennahe Schwachschichten | SchneeGestöber #5 19/20

SchneeGestöber: Frühwinter-Firn & Oberflächennahe Schwachschichten | SchneeGestöber #5 19/20

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Einige Tage mit sehr schlechter Schneequalität und föhnbedingt ausgesprochen hohen Temperaturen liegen hinter uns. In der richtigen Exposition, Hangsteilheit und Höhenlage konnte man bereits eine Firn-Vorstufe fahren.

Schlechte Schneequalität durch Wind

Nach den tollen Frühwinterverhältnissen in der ersten Dezemberwoche hat sich der Wind wieder einmal bemerkbar gemacht. Vor allem während eines Weststurms am Samstag, 14.12., wurde die Schneedecke fast flächendeckend vom Wind in den Stubaier Alpen bearbeitet – erodiert, verfrachtet, verpresst. Inzwischen hat eine mehrtägige „Hitzeperiode“ ihre Spuren hinterlassen. Der findige Wintersportler hat sich statt der von Windgangeln übersäten Oberfläche den ersten Firn gesucht. Inzwischen hat sich ein oberflächennahes, schwach ausgeprägtes Altschneeproblem in sonnseitigen Hängen entwickelt das mit den kommenden Schneefällen durch die Bildung eines besser geeigneten Schneebretts oberhalb der Schwachschicht etwas prominenter werden könnte.

Profil, Sellrainer Sonnberg, 19.12.2019, S, 34°, 2480m

Das Profil wurde gegen Ende der „Hitzeperiode“ in einem steilen Südhang am Nachmittag auf knapp 2500m aufgenommen. Die Lufttemperatur beträgt während der Aufnahme +1,8°C und die Schneehöhenverteilung im Aufnahmegebiet ist sehr unregelmäßig durch den Windeinfluss. Die Schneedecke ist etwa 60 cm mächtig und isotherm. Das heißt, sie ist von ganz oben bis ganz unten gleich temperiert. Theoretisch könnte man den Begriff „isotherm“ für jede Temperatur verwenden. Da Isothermie aber praktisch nur bei 0°C in einer natürlichen Schneedecke vorkommt, weiß man mit dem Wort sofort, dass die Schneedecke keine „Temperaturreserve“ mehr aufweist und damit durchgehend 0°C warm ist. Die ab nun zugeführte Energie wird, statt weiterer Erwärmung des Schnees, nur mehr zu einem Schmelzen der Schneekristalle führen.

Rot + Grün

An der Oberfläche finden wir Schmelzformen mit einem Durchmesser von 1 – 1,5mm und Feuchtegrad 3, Härte 1-2. Diese liegen auf einer schwach feuchten Schmelzkruste mit Härte 2-3. Der Unterschied zwischen feuchten bis nassen, losen Schmelzformen und einer Schmelzkruste ist die Verbindung zwischen den Kristallen: Während bei ersterem bereits so viel Wasser zwischen den Schneekörnern vorhanden ist, dass diese de facto keine Verbindung mehr aufweisen, gibt es bei der Kruste noch viele Verbindungen und wenig bis gar kein Wasser zwischen den Schmelzkörnern (noch „zusammengefroren“). Das heißt, sie sind noch kein Sulz, Gatsch, Letten oder wie man das heißen will. Sie sind eben (noch) eine Kruste: Härter, kross, crusty. Die Wissenschaftler sprechen hier vom Liquid Water Content – LWC einer Schneeschicht. Je mehr Wasser in der Schicht Schmelzformen wieder zu Eiskörnern friert in der Nacht, desto mehr bildet sich daraus wieder etwas, was man als Kruste bezeichnen kann.

Blau

Zwischen den beiden Schmelzkrusten finden wir eine dünne, aufbauend umgewandelte Schicht aus relativ kleinen Kantigen Kristallen. Sie wieder auf dem Weg der abbauenden Umwandlung (Kantig abgerundet) und sind gleichzeitig auch leicht in Richtung Schmelzumwandlung unterwegs (schwach feucht). Sie sind Teil jenes oberflächennahen Altschneeproblems das im Euregio-Lawinenreport derzeit in Sonnenhängen oberhalb von etwa 2500m beschrieben wird. Wir konnten hier aber wegen der schwachen Ausprägung von überlagerndem Schneebrett und Schwachschicht nur einen Teilbruch (N) beim sechsten Schlag des erweiterten Säulentests (ECT) initiieren.

Unterhalb der unteren Schmelzkruste befindet sich eine mächtige (= dicke) Schicht aus ebenfalls Kantigen Kristallen. Sie haben sich während der langen Schönwetterphase Anfang Dezember gebildet. Sie sind kein Grund zur Sorge weil die Schicht relativ dick ist, die Kristalle sehr klein und ebenfalls derzeit in der isothermen Metamorphose (= abbauende Umwandlung) befindlich. Das heißt, die Kristalle werden wieder kleiner, die Verbindungen verstärken sich und die Kanten der Kristalle runden sich ab. Und das sogar ziemlich schnell weil die abbauende Umwandlung bei 0°C oder wenige Grad darunter wesentlich schneller abläuft als bei einem geringen Temperaturgradienten bei kälteren Schneetemperaturen.

Orange

Am Boden sehen wir wieder recht feuchte, sehr kleine Schmelzformen. Sie wurden primär durch die Bodenwärme derart stark angefeuchtet.

Fazit

Es gibt frühjahrsähnliche Verhältnisse an diesem Standort am Nachmittag. Die Schneedecke ist isotherm, sie weist derzeit keine Temperaturreserve mehr auf. Alle Schneeschichten sind bereits angefeuchtet. Die aufbauend umgewandelten Schichten (Altschneeproblem) – wie im Lawinenreport für besonnte Hänge oberhalb von 2500m beschrieben – ist hier vorhanden aber zu schwach ausgeprägt um eine Lawinenauslösung als wahrscheinlich einzustufen. Zwei-, dreihundert Höhenmeter höher dürfte die Kantige Schicht aber ausgeprägt genug sein, um eine Lawinenauslösung als denkbar zu erachten. Wenn das Problem auch nur sehr schwach ausgeprägt ist.

Merke: Firn (= Sulzschnee auf tragfähiger Kruste) fährt man im Früh- und Hochwinter nach einer längeren Schönwetterphase mit sehr hohen Temperaturen am ehesten in möglichst steilen und tief gelegenen Südost- und Südhängen zwischen 12 und 13:30 Uhr.

SchneeStöber-Assistentin Aria bei der Profilaufnahme

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